Fünf Fragen zur Zukunft der Medien mit Gaston Serralta – CEO und Mitbegründer des argentinischen Medienstrategieunternehmens "dosunos" und Sprecher bei Veranstaltungen der World Association of News Publishers.
Was sind die interessantesten Anwendungsfälle, die Sie kürzlich in Ihrem Arbeitsbereich erlebt haben und warum?
"Ich habe viele Anwendungsfälle im Bereich Journalismus und Medien gesehen und drei ausgewählt, die meiner Meinung nach die interessantesten sind.
Der erste ist natürlich generative KI im Allgemeinen. Medienunternehmen, ob klein oder groß, nutzen generative KI, um viel mehr Inhalte mit weniger menschlichem Aufwand zu erstellen. Sie verwenden sie als Inspirationsquelle, um allgemeine Inhaltsideen zu generieren und ein „Skelett“ des Inhalts zu erstellen, das dann von den Journalisten verfeinert wird. Nicht viele Redaktionen in der Region..." (Lateinamerika) "... haben formelle Richtlinien zur Integration von generativer KI in ihre Prozesse zur Erstellung von Inhalten. Allerdings berichten diejenigen, die mit diesem Ansatz experimentieren, von positiven Ergebnissen.
Der zweite Anwendungsfall, den ich häufig sehe, ist die Personalisierung von Inhalten durch Technologie, die in die CMS-Plattformen der Journalisten integriert ist – wie zum Beispiel Piano, Sixth Sense und BlueConic. Personalisierung ist absolut entscheidend, um die Benutzererfahrung zu verbessern, besonders wenn es darum geht, das Publikum dauerhaft an Medien zu binden. Wenn wir darüber nachdenken, welche Inhalte Menschen sehen, ist es entscheidend, dass diese auf ihre Vorlieben zugeschnitten sind. Das hält sie dazu an, immer wiederzukommen, weiterzulesen, zu schauen und zu interagieren.
Heutzutage ist die Technologie, die wir haben, viel weiter fortgeschritten als noch vor fünf Jahren. Diese Systeme basieren jetzt auf Benutzerverhalten und -mustern, was es ihnen ermöglicht, viel genauer vorherzusagen, welche Inhalte eine Person als Nächstes konsumieren möchte – sei es ein Video, ein Artikel oder eine Webstory. Es geht nicht nur um einfache Geschäftsregeln wie „Wenn du Autos magst, zeigen wir dir mehr Auto-Inhalte.“ Es geht darum, mit einer höheren Genauigkeit vorherzusagen, womit sich der Benutzer als Nächstes beschäftigen wird. Diese Personalisierung hat meiner Meinung nach einen enormen Einfluss und ich glaube fest daran.
Der dritte Anwendungsfall, der einer der vielversprechendsten Bereiche ist, in dem KI wirklich einen Unterschied machen wird, vor allem beim Medienkonsum, ist die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen. Hier sehe ich, dass KI floriert und bemerkenswerte Arbeit leistet. Die Technologie, über die wir sprechen, umfasst Algorithmen und Tools, die Inhalte lesen, den Kontext verstehen und sie dann so zusammenfassen, dass sie für diejenigen zugänglich sind, die sie benötigen.
Denken Sie zum Beispiel an Menschen, die blind sind oder Sehbehinderungen haben – KI kann diese Lücke für sie schließen. Selbst wenn eine Webseite eines Verlags nicht vollständig auf Barrierefreiheit ausgelegt ist, können diese KI-gesteuerten Tools immer noch Erstaunliches leisten und sicherstellen, dass diese Personen genauso wie alle anderen Inhalte konsumieren können. Dies ist für mich einer der interessantesten und wirkungsvollsten Anwendungsfälle von KI, den ich in letzter Zeit gesehen habe, und es begeistert mich wirklich."
Welche Veränderungen – durch den Einfluss von künstlicher Intelligenz – konnten Sie in Ihrem Arbeitsbereich feststellen?
"Die erste große Veränderung, die mir aufgefallen ist, und sie ist keine gute, ist dieses Gefühl von Panik und Angst, das die Menschen erfasst. Es gibt dieses überwältigende Gefühl, dass KI uns ersetzen wird – egal, ob man Journalist, Verkäufer oder in einem anderen Bereich tätig ist. Diese Angst lähmt Teams und lässt sie denken, dass ihnen die Zeit davonläuft, sich anzupassen oder zu neu zu erfinden. Es ist zweifellos eine negative Veränderung, da sie Kreativität und Fortschritt blockiert.
Eine weitere besorgniserregende Entwicklung ist der Anstieg von minderwertigen, synthetischen Inhalten. Wir sehen eine Explosion von Inhalten, die einfach kopiert und eingefügt werden, ohne wirklichen Mehrwert. Synthetische Inhalte sind jetzt überall und verschmutzen die Medienlandschaft. Medienunternehmen, die nur auf programmatische Einnahmen abzielen, produzieren diese Art von Inhalten, was die Qualität der verfügbaren Informationen stark beeinträchtigt. Es ist ein Wettlauf ins Negative, der gute Technologie mit schlechten Praktiken vermischt und der Branche schadet.
Dann gibt es noch das Abwandern von Talenten. Ich sehe, dass viele qualifizierte Menschen die Medienbranche komplett verlassen und in Bereiche wie E-Commerce, digitales Marketing und andere Felder wechseln. Diese Menschen haben dem Publikum echten Mehrwert gebracht, haben informiert und unterhalten, aber jetzt verlassen sie das Schiff, weil sie das Gefühl haben, dass KI die Medien übernimmt. Wir verlieren dadurch viele großartige Talente, was ein ernstes Problem für die Branche ist.
Aber es ist nicht alles schlecht. Für diejenigen, die bleiben, gibt es auch positive Veränderungen. Es gibt einen Wandel hin zur Talenttransformation – Menschen lernen neue Fähigkeiten, passen sich der KI an und werden effizienter. Ich sehe, dass Einzelpersonen Eigeninitiative ergreifen, online lernen und sich weiterbilden, um relevant zu bleiben. Medienunternehmen beginnen auch, ihre Teams umzuschulen, und sogar einige Regierungen bieten die Werkzeuge an, die nötig sind, um sich an die KI anzupassen. Das ist eine positive Veränderung, die Menschen wettbewerbsfähig hält.
Ein weiterer großer Gewinn ist die Effizienz. Der Fokus verschiebt sich von der reinen Inhaltserstellung hin zur Produktion von qualitativ hochwertigen Inhalten mit weniger Aufwand. Journalisten, Redakteure und sogar der geschäftliche Teil der Medien sprechen zunehmend über Effizienz, und das ist eine große Verbesserung.
Schließlich sehen wir endlich echte Fortschritte in der Datenanalyse. Wir reden seit Jahren über Big Data und datengetriebene Entscheidungen, aber jetzt, mit KI, können wir diese Daten tatsächlich besser und schneller analysieren. Medienunternehmen können jetzt schnellere, fundiertere Entscheidungen treffen, wie sie ihr Publikum ansprechen, neue Nutzer gewinnen und neue Märkte erschließen. Die Werkzeuge, die wir jetzt haben, wenden KI-Algorithmen auf all diese Datenpunkte an und ermöglichen es uns, klügere, schnellere Entscheidungen zu treffen, was unglaublich positiv ist.
Obwohl es also einige ernsthafte Herausforderungen gibt, gibt es auch wirklich spannende Möglichkeiten für diejenigen, die bereit sind, sich anzupassen und die Veränderungen, die die KI mit sich bringt, zu nutzen."
Wie groß wird Ihrer Meinung nach der Einfluss der künstlichen Intelligenz auf Ihr Arbeitsfeld sein, und welche Merkmale zeichnen diesen Einfluss aus?
"Der Moment, in dem wir uns gerade befinden, mit der KI, ist bedeutend – wirklich tiefgreifend. Es ist vergleichbar mit den entscheidenden Momenten in der Geschichte, als Gutenberg die Druckerpresse erfand, das Internet in den 90er Jahren durchstartete oder die mobile Technologie in den 2010er Jahren alles veränderte. Wir befinden uns an einem weiteren Wendepunkt, der nicht nur Verlage, sondern auch das Publikum betrifft. Es geht nicht nur um Journalismus, sondern darum, wie wir alle mit Inhalten interagieren.
KI bietet eine enorme Chance, wenn sie richtig genutzt wird. Natürlich, wie jedes mächtige Werkzeug, kann sie sowohl zum Besseren als auch zum Schlechteren verwendet werden. Aber insgesamt sehe ich dies als eine großartige Möglichkeit für Mainstream-Medien, Content-Ersteller, Entertainer und Plattformen, sich anzupassen, zu verbessern und über sich hinauszuwachsen. Diejenigen, die die Technologie verstehen und wissen, wie sie effektiv eingesetzt wird, werden die Gewinner sein. Die Gefahr liegt darin, dass KI genutzt wird, um Verlage in reine Content-Fabriken zu verwandeln, die nur minderwertiges Material produzieren, weil sie es können. Das ist die negative Seite dieser Chance, und das passiert auch.
Auf der anderen Seite kann KI wie ein Exoskelett für Journalisten sein, das ihnen hilft, bessere Inhalte schneller und mit mehr Tiefe zu erstellen. Es ist ein Werkzeug, das die Qualität der Arbeit steigern kann, anstatt sie zu mindern, und darin liegt die eigentliche Chance.
Für das Publikum bietet KI das Potenzial für persönlichere, sicherere und relevantere Inhalte, die auf ihr Alter, ihren Standort und ihre Interessen zugeschnitten sind. Aber es gibt einen Haken. Wenn Menschen diese Technologie nur nutzen, um Inhalte durch enge Filter zu konsumieren, wie Algorithmusblasen oder Sprachassistenten, die nur ihre eigenen Vorurteile bestätigen, werden sie das große Ganze verpassen.
Am Ende bin ich optimistisch. Ich glaube, dass diese Entwicklung positiv auf das Publikum wirken wird und reichhaltigere, personalisierte Erlebnisse bietet. Aber wie immer hängt es davon ab, wie wir die Technologie nutzen. Hier gibt es ein enormes Potenzial für positiven Wandel, aber wir müssen uns auch der Risiken bewusst sein."
Welche Entwicklung in Ihrer Branche würden Sie sich wünschen? Wie könnten technologische Innovationen/künstliche Intelligenz dazu beitragen?
"Ich glaube, dass diese Technologie bereits jetzt einen erheblichen Einfluss hat – nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern jetzt. Sie treibt Geschwindigkeit, Effizienz und Automatisierung auf eine Weise voran, wie wir es bisher nicht erlebt haben. Entscheidend ist jedoch, dass sie die Ausreden beseitigt. Die Werkzeuge sind da, verfügbar und leistungsstark. Die eigentliche Frage ist also: Was können Menschen zu dieser Entwicklung beitragen? Wie können wir als Menschen etwas Einzigartiges einbringen?
Ich benutze oft eine Analogie, wenn ich über KI spreche: Es ist wie bei der Industrie der ultraverarbeiteten Lebensmitteln, die wir vor einigen Jahren erlebt haben. Wir hatten all diese bequemen, leicht zu konsumierenden Lebensmittel, aber sie waren schädlich für unsere Gesundheit. Viele Menschen haben sie angenommen, aber jetzt gibt es einen Trend zurück zu echten, gesünderen Lebensmitteln. Ich denke, dass wir das Gleiche bei Inhalten erleben werden. Synthetische Inhalte sind so weit verbreitet, dass die Menschen sie irgendwann ablehnen und stattdessen das Menschliche, den Mehrwert, den nur eine Person – ein Journalist, ein Geschichtenerzähler – hinzufügen kann, schätzen werden. Ich hoffe, dass der Aufstieg synthetischer Inhalte letztlich das wahre handwerkliche Können, das in der Erstellung qualitativ hochwertiger Geschichten steckt, hervorheben wird.
Außerdem hoffe ich, dass Journalisten neue Werkzeuge annehmen, um wichtige Prozesse wie das Faktenchecken zu optimieren, was in unserer Branche entscheidend ist. KI sollte als Ergänzungswerkzeug für Menschen dienen, nicht als Ersatz. Ich glaube nicht an Ersatz. Letztendlich kann diese Technologie die Kluft zwischen Publikum und Redaktionen überbrücken und eine bessere Kommunikation fördern. Das könnte durch KI-gestützte Agenten oder eine andere Technologie geschehen, die es uns ermöglicht, sinnvolle Gespräche im großen Maßstab zu führen, weil wir nicht jedes einzelne Bedürfnis des Publikums persönlich ansprechen können. Aber mit KI können wir besser verstehen, was unser Publikum will und braucht, und genau da kann diese Technologie einen echten Unterschied machen."
Welche Risiken und/ oder Bedrohungen sehen Sie im Zusammenhang mit der technologischen Entwicklung?
"Synthetische Inhalte sind jetzt überall, und das ist etwas, das wir nicht ignorieren können. Aber ehrlich gesagt, es ist nicht mehr unsere oberste Priorität – es ist bereits da, es fließt. Die größere Sorge für mich ist der Anstieg von Fehlinformationen, besonders durch Dinge wie Deepfakes. Ich habe Videos gesehen, die einfach verrückt sind – wie dieses mit Trump und einem Lama. Das ist eine riesige Bedrohung, und was es noch schlimmer macht, ist der Mangel an Regulierung. Wir erleben eine massive Welle solcher Dinge, und die wenigen Vorschriften, die wir haben, werden nicht richtig durchgesetzt.
Was wird mit dem Thema Datenschutz passieren? Das ist eine echte Sorge. Diese KI-Werkzeuge machen es so viel einfacher, die Privatsphäre in großem Umfang zu verletzen, und das ist nichts, was man einfach so abtun kann. Es ist traurig, aber ich habe das Gefühl, dass wir in eine Zeit gehen, in der der Datenschutz mehr gefährdet ist als je zuvor – mehr noch als in den letzten Jahrzehnten.
Dann gibt es das Problem des algorithmischen Bias. Diese großen Sprachmodelle werden beginnen, die Nachrichten zu formen, die das Publikum erhält – und ihnen basierend auf voreingenommenen Eingaben sagen, was sie sehen, hören oder lesen sollen. Das ist wirklich besorgniserregend und könnte einen enormen Einfluss darauf haben, wie Menschen die Welt um sich herum wahrnehmen.
Ich könnte stundenlang über diese Bedrohungen sprechen, aber der Punkt ist, dass wir als Akteure in diesem Bereich diese Probleme angehen müssen. Wir müssen der Industrie und dem Publikum helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen – nicht, indem wir Angst verbreiten, sondern indem wir Bildung, Schulung und fundierte Entscheidungen fördern. Die Menschen müssen verstehen, welche Werkzeuge sie nutzen, welche Praktiken sie anwenden und welche Fallstricke sie vermeiden sollten. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber es ist entscheidend, wenn wir diese Herausforderungen in Chancen für positiven Wandel transformieren wollen."
Gastón Serralta ist eine prominente Persönlichkeit in der lateinamerikanischen Medienbranche mit über 20 Jahren Erfahrung. Er hat Schlüsselpositionen wie CTO bei "Infobae" und Technology Manager bei "C5N Argentina" bekleidet und an Medienprojekten in der gesamten Region gearbeitet. Sein Fachwissen erstreckt sich über Produktentwicklung, Datenanalyse und Monetarisierung, wobei er sich auf nachhaltiges Wachstum der Medien konzentriert. Als Gründer und CEO von "dosunos" leitet Gastón ein Unternehmen, das innovative Lösungen und Dienstleistungen für die Nachrichten-, Medien- und Unterhaltungsbranche anbietet.
Dieses Interview ist Teil von PANTA Experts, in dem wir verschiedene Experten aus der Medienbranche und darüber hinaus interviewen. Interviewer: Jan Kersling (PANTA RHAI).
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